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Im Kindergarten.
Auch Gefühle der Langeweile und Unterforderung spielen häufig
bereits im Kindergarten, insbesondere im letzten Jahr, eine Rolle. Manche
Kinder benennen dies schon selbst, bei anderen schließen es die Eltern
nur indirekt aus den Äußerungen ihrer Kinder:
»Wir machen da immer nur dasselbe«, »Wann kann ich endlich
in die Schule?«, »Ich will endlich was Richtiges lernen«.
Wenn Kinder schon vor dem Schuleintritt lesen, schreiben oder rechnen können
und sich intensiv mit bestimmten Sachgebieten beschäftigen, kann dies
ein deutlicher Hinweis darauf sein, dass sie im Kindergarten unterfordert
sind und die Eltern sich näher mit dem Thema Hochbegabung befassen
sollten.
3. Die Grundschule
Als Daniela
mit knapp sechs Jahren in die Schule kam, stellte sich heraus, dass sie bereits
fließend lesen konnte. Die Lehrerin stellte die Eltern zur Rede. Diese
waren überrascht und erstaunt: »Wir wussten nicht, dass sie schon
lesen kann. Wie ist denn das möglich? Sie muss es sich irgendwie selbst
beigebracht haben.« - »Sie wissen«, antwortete die Lehrerin
mit mahnendem Ton, »dass Sie Ihrem Kind keinen Gefallen tun, wenn Sie
mit ihm üben und es vorlernen lassen!« Zu Hause sprachen die Eltern
mit Daniela. »Wann hast du denn lesen gelernt?« »Ich weiß
nicht, irgendwann konnte ich es einfach.« »Und warum hast du uns
nichts davon erzählt?« »Ich habe mich nicht getraut. Es war
mein Geheimnis. Eigentlich darf ich das ja noch gar nicht können.«
Daniela ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie genau manche hochbegabten
Kinder bereits vor ihrer Einschulung wahrnehmen, dass ihre Umwelt negativ
reagiert, wenn sie zeigen, was sie schon können. Sie erhalten direkt
oder indirekt die Botschaft:
»Du musst dich anpassen und einfügen.« Also versuchen die
Kinder, die an sie gestellten Erwartungen zu erfüllen, ihre Fertigkeiten
zu verstecken oder gar zu leugnen und sich nach Möglichkeit eine andere
Rolle zuzulegen. Oft geschieht das, indem sie sich verschiedene Verhaltensweisen
bei anderen Kindern >abgucken<.
In den psychologischen
Untersuchungen habe ich manchmal den Eindruck, es mit zwei verschiedenen Kindern
zu tun zu haben: Felix (10) ist im Wartezimmer unruhig, laut und albert herum.
Zu Beginn unserer Sitzung wirkt er sehr verlegen, spricht in einer Art Babysprache
und redet viel Unsinn. Als wir mit den Testaufgaben beginnen, wird er zusehends
ruhiger und konzentrierter. Je schwieriger und komplexer die Aufgaben werden,
umso reifer, motivierter und eifriger wirkt er. Ich frage ihn sachlich, ob
er auch noch anders sprechen könne als in Babysprache. »Selbstverständlich
kann ich auch anders sprechen«, antwortet er in präzisem Hochdeutsch.
Nach etwa einer halben Stunde ist Felix wie ausgewechselt: er ist freundlich
und kooperativ, kann sich sprachlich gut ausdrücken und erscheint sozial
sehr kompetent. Diese »Rollenwechsel« erlebe ich in den Untersuchungen
immer wieder. Sie sind ein anschauliches Beispiel dafür, wie unbeholfen
hochbegabte Kinder sich manchmal in ihrer »Verkleidung« fühlen.
Und welche soziale Reife sie an den Tag legen können, wenn sie sich ernst
genommen und ihren Fähigkeiten entsprechend gefordert fühlen. Vielen
der Kinder, die zum Test zu mir kommen, muss ich zunächst ausdrücklich
erlauben, dass sie hier alles zeigen dürfen, was sie schon können.
Über den Konflikt, zwischen dem Wunsch von Gleichaltrigen akzeptiert
zu werden und die eigenen Begabungspotenziale umzusetzen, berichtet auch Gross
(1989, 1993a).
Winner (1996) stellt fest, dass hochbegabte Kinder ihr Wissen und ihre Fähigkeiten
oftmals verbergen, um »normal« zu erscheinen und nicht negativ
aufzufallen. Mähler & Hofmann (1998) führen in diesem Zusammenhang
Zitate von betroffenen Kindern an: »Ich will nicht zu den Hochbegabten
gehören, ich will so sein wie alle!« (Sarah, 5); »Ich muss
mich in der Schule völlig anders geben als ich bin.« (Franziska,
7) (S.56).
Kurzfristig können ihre Anpassungsversuche den Kindern helfen, Probleme
im Schulunterricht oder mit Klassenkame-raden zu vermeiden. Langfristig kostet
es sie jedoch viel Kraft und Konzentration.
Nicht wenige Eltern klagen darüber, dass ihre Kinder sich draußen
(also in der Schule, bei Bekannten und Verwandten) besonders brav und angepasst
verhalten und die damit verbundene Anspannung zu Hause abfällt, indem
sie »Dampf ablassen« und sehr reizbar sind: »Manuel scheint
immer mit angezogener Handbremse zu fahren. Zu Hause lässt er dann den
angestauten Druck an uns oder seinen Geschwistern aus.« Viele Eltern
und deren hochbegabte Kinder stellen fest, dass das Verstecken der Hochbegabung
auf Dauer nicht gelingt. Auch die Versuche besorgter Eltern, den
Wissens-durst ihrer Kinder rechtzeitig zu bremsen und zu zügeln, schlagen
in der Regel fehl. Notfalls eignen sich die Kinder, wie im Falle von Daniela,
die Dinge, die sie wissen oder können wollen, selbstständig an.
Die betroffenen Kinder selbst können oft am wenigsten begreifen, warum
sie sich manchmal so unzufrieden, angespannt und unausgeglichen fühlen.
Was für den Kindergarten
gilt, gilt ebenso (und oft in höherem Maße) für den Eintritt
in die Grundschule. Auch hier sind hochbegabte Kinder mit einer Fülle
von neuen Reizen und Anforderungen konfrontiert. Die meist großen Klassen,
der hohe Lärmpegel, die vielen neuen sozialen Regeln, Kinder aus unterschiedlichsten
Kulturen und sozialen Milieus, ein Pausenhof mit mehreren hundert Kindern,
von denen die meisten großen Spaß am Toben und Herumrennen haben:
Auch hier brauchen Hochbegabte aufgrund ihrer hohen Sensibilität und
Auffassungsgabe oft mehr Zeit als andere, um sich einzugewöhnen, das
Geschehen zu beobachten und sich einen Überblick zu verschaffen.
Im Schulunterricht fallen hochbegabte Kinder häufig durch großen
Lerneifer, schnelles Arbeitstempo, sprachliches Geschick oder großes
Sachwissen auf. Sie können den Unterricht mit interessanten Beiträgen
bereichern und ihre Mitschülerinnen mit ihrer Motivation anstecken. Viele
Lehrer und Lehrerinnen begrüßen dies und lassen den besonders eifrigen
Kindern, auch ohne explizites Wissen über Hoch-begabung, ganz selbstverständlich
eine geeignete Förderung zuteil werden. Dies kann durch Zusatz- und Knobelaufgaben
für interessierte SchülerInnen, kleinere >Forschungsaufträge<
und Referate oder eine Vorversetzung in die nächsthöhere Klassenstufe
erfolgen. Seit einiger Zeit verfügen aber auch immer mehr Pädagogen
über Informationen zum Thema Hochbegabung oder haben bereits Fortbildungen
hierzu besucht. Manche LehrerInnen greifen es geschickt auf, wenn sie bemerken,
dass ein Kind von den anderen abgelehnt und ausgegrenzt wird, es zu schüchtern
ist, sich im Unterricht zu melden, oder sonstige Probleme sichtbar werden.
Es steht also außer Frage, dass viele hochbegabte Kinder eine glückliche
und zufriedene Grundschulzeit erleben können.
Leider gibt es jedoch
auch immer wieder Fälle, bei denen gerade der Lerneifer, das hohe Arbeitstempo
oder die bis-weilen ausufernden Sachbeiträge bei Lehrern und Mit-schülern
auf Unverständnis oder Befremden stoßen. Neben dem Gefühl
des Andersseins und der Isolation sowie dem Versuch, sich anzupassen und vorhandene
Potenziale zu unterdrücken, kann anhaltende Unterforderung dieselben
Symptome verursachen wie anhaltende Überforderung. Nachdem viele hochbegabte
Kinder die Grundschule in den ersten Wochen mit Freude und Begeisterung besuchen,
sind sie schon nach kurzer Zeit enttäuscht, dass sie noch »nichts
Richtiges« lernen dürfen. Bei monotonen Aufgaben oder beim Üben
und Wiederholen von Lernstoff schalten sie ab, ermüden schnell oder verweigern
die Mitarbeit gänzlich. Es kommt zu Gefühlen der Langeweile, Selbstunsicherheit,
Anspannung und Unausgeglichenheit. Bei einfachen Aufga-benstellungen neigen
hochbegabte Kinder zu Flüchtigkeits-fehlern und ungenauem Vorgehen. Daraus
resultierende Misserfolge können die Betroffenen weiter verunsichern.
Hier ist es wichtig, dass die Eltern sorgfältig nach den jeweiligen Ursachen
suchen, die Äußerungen des Kindes ernst nehmen und es in seinen
Wahrnehmungen bestätigen. Es verlangt den Eltern häufig großes
diplomatisches Geschick ab, die Problematik einer möglichen Unterforderung
mit LehrerInnen zu erörtern. Gegebenenfalls helfen hier ein psychologisches
Gutachten und die Kontaktaufnahme mit Elternvereinigungen, deren Mitglieder
auf diesem Gebiet viel Erfahrung haben und wertvolle Tipps geben können.
Zu den Folgen schulischer Unterforderung sowie zu geeigneten Fördermaßnahmen
verweise ich nochmals auf die zahlreichen Veröffentlichungen, die zu
dieser Thematik bereits erschienen sind, z. B. von Feger (1998), Heinbokel
(2001), Mähler & Hofmann (1998), Meyer (2003), Mönks & Ypenburg
(1998), Spahn (1997).
4. Die weiterführende
Schule
Besucht ein hochbegabtes Kind als weiterführende Schule ein
Gymnasium, fällt es ihm oft leichter, einige wenige Gleichge-sinnte zu
finden. Besonders in den Oberstufen, wo SchülerIn-nen ihren Fähigkeiten
und Neigungen entsprechend bestimmte Fächer auswählen können,
haben Hochbegabte meist eher die Chance, Kontakte zu anderen mit ähnlichen
Interessen aufzubauen. Zudem erleben sie in den Leistungs-kursen oft erstmals,
dass ihr Sachwissen, ihr komplexes Denken und ihr Bestreben, sich Sachverhalte
tief greifend und selbstständig zu erarbeiten, von den LehrerInnen positiv
aufgenommen werden.
Auch hier soll weniger
auf die Aspekte schulischer Leistung und Unterforderung als auf die seelischen
und sozialen Folgen, die im Zusammenhang mit Hochbegabung auftreten können,
eingegangen werden. Und auch hier sollen diejenigen Hochbegabten und deren
Eltern angesprochen werden, bei denen die Schulzeit problematisch verläuft,
ohne damit andeuten zu wollen, dass dies zwangsläufig der Fall sein muss.
Einige der möglichen Probleme habe ich zu Beginn dieses Kapitels bereits
beschrieben.
Grundsätzlich gilt:
Die Schullaufbahn eines Hochbegabten kann vom lernbegeisterten Überflieger
bis zum Schulversager, vom stillen Musterschüler bis zum renitenten Rebellen
alle Ausprägungen haben (der
Einfachheit halber verwende ich hier, wie auch an anderen Stellen, die maskuline
Form, wobei es sich in allen Fällen ebenso um Jungen wie um Mädchen
handeln kann). Selbstverständlich handelt es sich auch bei den
folgenden Charakterisierungen um pointierte Zusammenfassungen, die in der
Realität nicht so >rein< vorkommen und viele Überschneidungen
aufweisen können.
Der lernbegeisterte Überflieger
kann durch seine Freude am Lernen, seinen stets hochgereckten Arm im Unterricht,
seinen Fleiß bei den Hausaufgaben und seine guten Noten bei seinen Mitschülern
Anstoß erregen. Bei vielen ist es nicht beliebt, gerne zu lernen. Es
gilt als >uncool<, sich lebhaft am Unterricht zu beteiligen oder bei
den Schulaufgaben mehr als das Nötigste zu tun. Wie immer man persönlich
zur starken Leistungsorientierung eines Schülers stehen mag, sollte es
zumindest erlaubt sein, mit Freude, Begeisterung und hoher Motivation zu lernen,
wenn der Betreffende selbst dies möchte. Der Überflieger wird mit
Leichtigkeit zum Abitur gelangen und dabei vielleicht eine Klasse überspringen
oder
eine sog.
D-Zug-Klasse besuchen. Probleme können entstehen, wenn der Abstand zu
seinen Mitschülern zu groß wird und sie ihn aufgrund seines Lerneifers
ausgrenzen. Sein schulischer Erfolg geht dann zu Lasten seiner sozialen Kontakte.
Manche dieser ehemals begeisterten Schüler versuchen dann absichtlich
schlechtere Noten zu schreiben oder sich im Unterricht zurückzuhalten
und bleiben so hinter ihren eigentlichen Fähigkeiten zurück (vgl.
hierzu Gross, 1989; Painter, 1976). Nach Robinson & Noble (1991)
und Tannenbaum (1983) neigen hochbegabte Mädchen stärker als Jungen
dazu, ihr Leistungsvermögen zugunsten sozialer Akzeptanz zu verbergen.
Der Schulversager ist seinen Eltern und Lehrern ein Rätsel: Wie ist es
möglich, dass dieser offensichtlich hochintelligente Schüler schlechte
Noten schreibt und im Unterricht oft die einfachsten Fragen nicht beantworten
kann? Wie kann es sein, dass er den Lernstoff zu Hause meist zu beherrschen
scheint, bei Klassenarbeiten aber häufig scheitert? Für das schulische
Versagen eines Hochbegabten gibt es vielfältige Ursachen, die sich nicht
ausschließlich mit seiner Hochbegabung erklären lassen und von
denen hier nur einige kurz skizziert werden können.
Durch anhaltende Unterforderung können Schüler in eine Abwärtsspirale
von Langeweile, Unaufmerksamkeit, Motivationsmangel einerseits und dem Entstehen
von Wissenslücken, Misserfolgen, Selbstzweifeln und damit einhergehenden
Konzentrations- und Leistungsschwierigkeiten andererseits geraten.
Sie haben nicht gelernt
zu lernen, verpassen den Anschluss und verlieren schließlich jegliches
Selbstvertrauen, in der Schule noch etwas erreichen zu können. Natürlich
können auch Probleme in sozialen Kontakten und im familiären Umfeld
eine Rolle spielen. Hier ist eine umfassende psychologische Diagnostik und
Begleitung besonders wichtig. Ausführliche Studien zur Problematik der
>Underachiever< liefern Butler-Por (1995),
Hanses & Rost (1998),
Whitmore (1980)
und Meyer (2003).
Weitere Gründe für
das schulische Versagen können überhöhte Selbstansprüche
und ein ausgeprägtes Perfektionsstreben sein. Dies führt manchmal
dazu, dass der Hochbegabte schnell den Mut verliert, wenn er sieht, dass er
seinen eigenen Perfektionsansprüchen nicht gerecht werden kann. Wie wir
gesehen haben, können sich zum Beispiel beim Bearbeiten einer Aufgabe
zu viele verschiedene Lösungswege gegenseitig behindern. Oder der Betreffende
überlegt so lange, wie er alle Aspekte eines Aufsatzthemas berücksichtigen
kann, bis die Zeit zu knapp wird und er vorzeitig aufgibt. Ein paradoxes Phänomen,
das in diesem Zusammenhang immer wieder auffällt, ist die Tatsache, dass
manche Hochbegabte gerade auf dem Gebiet ihrer größten Begabung
scheitern: Hier sind offenkundig die Selbstansprüche am höchsten
und die spontan verfügbaren Lösungsmöglichkeiten am vielfältigsten.
Ein mathematisch höchstbegabter Schüler äußerte: »Es
ist, als ob ich mich beim Denken selbst überhole. Oft habe ich schlagartig
die Lösung für eine komplexe Aufgabe, bin dann aber nicht imstande,
die einzelnen Rechenschritte nachzuvollziehen und wiederzugeben.« Mit
den überhöhten Perfektionsansprüchen stellen sich oftmals Prüfungsängste
ein, die, wenn sie unerkannt und unbehandelt bleiben, langfristig ebenso zu
Schulversagen führen können wie Unterforderung. Schließlich
kann die hohe Sensibilität des Gefühlslebens und der Sinneswahrnehmung
den Hochbegabten in seiner Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit so
beeinträchtigen, dass er sich in einem großen Klassenverband und
einem Gymnasium mit vielen hundert Schülern angespannt, nervös und
überlastet fühlt, ohne dies selbst verstehen oder benennen zu können.
Der stille Musterschüler kann, ebenso wie der lernbegeisterte Überflieger,
hervorragende schulische Leistungen erbringen, von seinen Mitschülern
jedoch ausgegrenzt und abgelehnt werden. Bei ihm scheint es jedoch, als habe
er sich schon früh mit seiner Außenseiterrolle abgefunden und unternimmt
häufig keine Versuche mehr, dies zu ändern. Manche dieser Schüler
können durchaus ausgeglichen und zufrieden sein und ganz in der Konzentration
auf schulische Belange aufgehen. Wenn dies der Fall ist, hilft es oft wenig,
ihn zur Aufnahme von Kontakten oder Gruppenaktivitäten zu ermuntern.
Wenn es ihm gelingt, sich einem anderen stillen Musterschüler anzuschließen,
scheint sein Bedürfnis nach sozialem Austausch oftmals gedeckt.
Probleme treten auf, wenn der Betreffende sich stark isoliert und unter seiner
Einsamkeit leidet. Seine große Schüchternheit kann auch dazu führen,
dass er aufgrund seiner spärlichen mündlichen Beteiligung im Unterricht
in manchen Fächern >nur< durchschnittliche Zensuren erhält,
was ihn verunsichern und seine Motivation beeinträchtigen kann. Schließlich
zählen auch der hohe Perfektionsanspruch, damit einhergehende Lernblockaden
und Prüfungsängste sowie die besonders zarte Konstitution des stillen
Musterschülers zu möglichen Ursachen für problematische Entwicklungen.
Der renitente Rebell verfolgt schon früh außergewöhnliche
Interessen und vertritt gerne konträre, eigenwillige Standpunkte. Die
Lust am Widerspruch beflügelt sein Denken, und er fühlt sich in
heftigen Kontroversen erst richtig wohl. Als Autorität akzeptiert er
nur, wer ihm in Auseinandersetzungen gewachsen ist. Nicht selten entlarvt
er fachliche oder menschliche Unsicherheiten bei Lehrern. Er hinterfragt Unterrichtsmethoden
und Lehrpläne, hat hierzu innovative Konzepte parat und weigert sich,
Vokabeln, Grammatikregeln oder stupide Geschichtsdaten auswendig zu lernen
(»Das ist kein Geschichtsunterricht,
das ist Schlachten- und Zahlenkunde«).
In Fächern, wo wenig auswendig gelernt und viel selbstständig nachgedacht
werden muss, kann er außerordentlich kreative und bereichernde Beiträge
erbringen. Seine Referate sprengen in der Regel jeden Rahmen, nötigen
aber selbst dem skeptischsten Lehrer Respekt ab. Zeitweilig erscheint der
rebellische Schüler nur sporadisch zum Unterricht und konzentriert sich
auf die wenigen Fächer, die ihm interessant erscheinen. Seine Leistungen
können hier so herausragend sein, dass mancher Lehrer ein Auge zudrückt
und es mit der Anwesenheitspflicht nicht so genau nimmt. Probleme entstehen,
wenn der Rebell die Geduld seiner Lehrer über das erträgliche Maß
hinaus
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strapaziert
oder er nicht zumindest einen einzelnenLehrer hat, der seine Talente erkennt
und kritikfähig genug ist, um sich mit ihm auseinander zu setzen. Fühlen
LehrerInnen sich zu häufig persönlich angegriffen und in Frage gestellt,
dulden sie keinen Widerspruch und meiden lebhafte Diskussionen, kann eine
Kettenreaktion in Gang kommen, die bis zum Schulverweis reichen kann. Dem
kommt der rebellische Hochbegabte in manchen Fällen zuvor und bricht
selbst die Schule ab. Oft wird übersehen, dass auch der rebellische hochbegabte
Schüler hoch sensibel ist, sich nach Anerkennung und Austausch sehnt
und innerlich sehr verunsichert sein kann. Auch er scheitert bisweilen an
seinen eigenen überhohen Ansprüchen. Jegliches Mittelmaß ist
ihm ein Gräuel, wenn er schon keine Eins schreiben kann, schreibt er
lieber gleich eine Sechs. Auch er kann sich unter Mitschülern unverstanden
und isoliert fühlen, wenngleich er häufig bei ihnen beliebt ist.
Besuchen
Hochbegabte eine Haupt- oder Realschule, können ähnliche Probleme
auftreten, jedoch gewöhnlich in größerem Ausmaß. Kathrin
wurde zwar von ihren Grundschullehrern fürs Gymnasium empfohlen, besuchte
aber aus verschiedenen organisatorischen Gründen die Realschule. Hier
geriet sie zunehmend in eine Außenseiterposition, da sie andere Interessen
verfolgte als ihre Mitschüler, sich anders kleidete und sich früh
mit politischen Themen auseinander setzte. Ihre einzige Freundin wandte sich
von ihr ab, als der Druck von Seiten der Klassenkameraden zu groß wurde.
Das feindselige Klima in der Klasse spitzte sich immer mehr zu: Wenn Kathrin
sich im Unterricht meldete, drehten sich die Mitschüler zu ihr um, rollten
die Augen oder machten spöttische Kommentare. Die Lehrer wiesen Kathrin
häufig zurecht, dass ihre Äußerungen und Fragen »fehl
am Platze« seien oder »nicht zum Thema« gehörten. Schließlich
erhielt Kathrin den Namen »die Verrückte«; es wurden eigens
sog. Vertrauensstunden mit dem Klassenlehrer genutzt, um im Klassenverband
zu diskutieren, warum Kathrin sich »so verrückt« benimmt
oder »immer so komische Fragen« stellt. Kathrin musste in diesen
Diskussionen Rede und Antwort stehen. Der Schulbesuch wurde für sie zunehmend
zur Qual.
Für ihre Andersartigkeit und die Angriffe der Mitschüler fand sie
keine Erklärung. Eine Hochbegabung war bei ihr nie in Betracht gezogen,
geschweige denn diagnostiziert worden. Die Situation eskalierte schließlich
in täglichen verbalen und körperlichen Attacken der Mitschüler.
Aus eigenem Antrieb verbesserte Kathrin ihren Notendurchschnitt innerhalb
weniger Monate so, dass sie die Schule wechseln und ein Gymnasium besuchen
konnte. Nicht etwa, weil sie sich für intelligenter hielt, sondern weil
Kathrin auf dem Schulhof des Gymnasiums Schüler beobachtet hatte, die
sich so ähnlich kleideten wie sie, und sie hoffte, dort einige Kontakte
zu finden. Offenbar spürte sie jedoch auch intuitiv, dass sie auf dem
Gymnasium besser aufgehoben sein würde. Nach einer längeren Eingewöhnungsphase
fand sich dort ein Lehrer, der Kathrins Befähigungen erkannte und, ohne
je etwas von Hochbegabung gehört zu haben, auf selbstverständliche
Weise förderte. In persönlichen Gesprächen erkundigte er sich
etwa nach Kathrins Interessen und ihrer derzeitigen Lektüre; da sie sich
gerade mit Philosophie befasste, fügte er in der nächsten Religionsklausur
ohne viel Aufhebens eine philosophische Fragestellung hinzu, welche Kathrin
mit großer Freude bearbeitete. Ihren Begabungen entsprechend gefordert
zu werden, stärkte Kathrins Selbstvertrauen, steigerte ihre schulischen
Leistungen und verhalf ihr letztlich dazu, einzelne Kontakte zu Gleichgesinnten
zu knüpfen. Dies ist einerseits ein Beispiel für den Leidensweg,
den manche hochbegabte SchülerInnen auf einer Real- oder Hauptschule
durchleben; anderseits zeigt es, mit welch einfachen Methoden eine individuelle
Hochbegabtenförderung erfolgen kann.
5. Die Pubertät
Die wesentlichen Merkmale einer >hochbegabten Pubertät< wurden
im Fall Sarah bereits anschaulich beschrieben. Zudem lässt sich aus den
bisherigen Schilderungen ableiten, dass die kritische Pubertätsphase
bei Hochbegabten aufgrund ihrer starken Emotionen, ihrer großen Empfindlich-
und Empfindsamkeit, ihrer Neigung zu Selbstzweifeln und ihrem bisweilen stark
ausgeprägten Widerspruchsgeist nicht selten noch heftiger verläuft
als bei anderen Heranwachsenden.
Eines der größten
Probleme, vor denen Eltern pubertierender Hochbegabter stehen, ist nach meiner
Erfahrung die große Diskrepanz zwischen deren Bedürfnis nach heftigen
Auseinandersetzungen einerseits und ihrer überhöhten Sensibilität
andererseits.
»Philipp stellt alles in Frage, er diskutiert außerordentlich
scharf und schreckt nicht davor zurück, persönlich verletzend zu
werden. Auf eine entprechend heftige Erwiderung reagiert er jedoch schnell
zutiefst gekränkt. Mitten in einer Auseinandersetzung schießen
ihm plötzlich Tränen in die Augen, und er klagt darüber, ungerecht
behandelt zu werden und sich nicht respektiert zu fühlen. Als Eltern
sind wir uns immer unsicher, ob wir ihn zu hart anfassen oder zu nachgiebig
sind.«
Der starke Freiheitsdrang und die große Experimentierfreude mancher
Hochbegabter führt dazu, dass sie sich selbst zuweilen in Situationen
bringen, denen sie sich am Ende nicht gewachsen fühlen. Einerseits möchten
sie so früh wie möglich soviel wie möglich erleben und selbstständig
ausprobieren, andererseits bringt ihre hohe Empfindsamkeit sie schnell an
ihre Grenzen. »Als wir zum ersten Mal über Nacht weg waren, feierte
unser vierzehnjähriger Sohn zu Hause ein wildes Fest. Er lud Freunde
und Bekannte ein, von denen einige hochprozentigen Alkohol mitbrachten. -
. . .
Vl.
Seelische Störungen -Hochbegabung
Sit down before fact as a little child, be prepared, to give up every preconcieved
notion, follow humbly wherever and to whatever abyss nature leads, or you
shall learn nothing.
T H. Huxley
Forschungsstand
Systematische Studien zu seelischen Störungen bei Hochbegabten sind noch
spärlich, deuten jedoch darauf hin, dass die große Mehrzahl Hochbegabter
als psychisch gesund einzustufen ist. Die wegweisende Langzeitstudie von Terman
(1925, 1947, 1959) zeichnet zunächst ein durchweg
positives Bild der psychosozialen Entwicklung Hochbegabter: Sie seien nicht
nur intellektuell überlegen, sondern auch beliebter, sozial anpassungsfähiger
und emotional stabiler als durchschnittlich Begabte.
Winner (1998) hingegen wendet ein, dass »Termans These von der glänzenden
psychischen Gesundheit und Anpassungsfähigkeit des hochbegabten Kindes
in dieser extremen Form nicht haltbar« sei (S. 195); in Termans Folgestudien
sei deutlich geworden, dass auch erfolgreiche Hochbegabte sich in ihrer Jugend
sozial stärker benachteiligt und häufiger ausgeschlossen fühlten.
Selbst Terman räumte ein, dass extrem hochbegabte Personen vor größeren
sozialen Problemen stehen (Burks, Jensen & Terman, 1930).
Scheidt (2004) weist zudem darauf hin, dass problematische
Hochbegabte mit Leistungsschwierigkeiten von vornherein nicht in Termans Studien
aufgenommen wurden.
Neuere Studien wie z. B. von Schilling (2002) und Freund-Braier
(2001) kommen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass hochbegabte
Kinder und Jugendliche nicht häufiger unter sozialen oder psychischen
Problemen leiden als die Durchschnittsbevölkerung, sondern sogar eine
günstigere Entwicklungsprognose aufweisen. Dyker (2004)
merkt jedoch zu Recht an, dass gerade Hochbegabte mit schwerwiegenden Problemen
von den Identifikationsverfahren (Schnell und Gruppentests
in der Schule) nicht in ausreichendem Maße erfasst werden, wenn
sie etwa unter Motivationsmangel, Lernschwierigkeiten oder Selbstzweifeln
leiden. Dieffenbach (2003) geht von rund 18 % behandlungsbedürftiger
Störungen bei hochbegabten Kindern und Jugendlichen aus, wobei Lernstörungen,
depressive Entwicklungen und Kontaktschwierigkeiten zu den häufigsten
Störungsbildern zählen. Im Hinblick auf die Häufigkeit seelischer
Erkrankungen bei hochbegabten Erwachsenen gibt es nach meinem Wissensstand
bislang keine systematischen Untersuchungen. Mir persönlich scheint der
Diskussion um seelische und soziale Probleme Hochbegabter weder eine einseitig
positive noch eine einseitig negative Darstellung förderlich zu sein.
Festzuhalten ist, dass Hochbegabte ebenso unter psychischen Störungen
leiden können wie alle anderen Begabungsgruppen auch. Im Laufe meiner
langjährigen therapeutischen Arbeit machte ich jedoch bei der Diagnostik,
Beratung und Behandlung von Hochbegabten eine Reihe von Beobachtungen, die
für mich weitaus interessantere Fragestellungen aufwerfen:
Welche Befähigungen und Kenntnisse braucht der Behandler in der Therapie
mit einem Hochbegabten? Welche Aspekte sind in der Beziehungsgestaltung zu
beachten? Welchen Einfluss hat eine unerkannte Hochbegabung auf den Therapieerfolg?
Wann ist von einer psychischen Störung zu sprechen und wann handelt es
sich um >ganz normales Hochbegabungs-Symptome? Bevor ich im Einzelnen auf
die psychotherapeutische Behandlung seelischer Störungen bei Hochbegabten
eingehe, scheinen mir einige Vorbemerkungen zu meiner therapeutischen Haltung
und Methodik nötig.
Zu meiner Arbeitsweise
Ich möchte nicht verschweigen, dass meine Zusammenarbeit mit Hochbegabten
sowohl meinen Störungsbegriff als auch meine Vorstellungen von einem
methodischen therapeutischen Vorgehen gehörig ins Wanken gebracht hat.
Dafür bin ich besonders den widerspenstigen, kritischen und eigensinnigen
meiner hochbegabten Klienten dankbar. Ihre Abneigung gegen technisch-methodische
Interventionen, ihr hartnäckiges Hinterfragen meiner Arbeitsweise und
meiner Person verlangten mir ein hohes Maß an Flexibilität, stetiges
Umdenken und eine zunehmend individuelle Therapie-Gestaltung ab.
In den Behandlungen zeigte sich auffallend häufig, dass Hochbegabte mit
seelischen Störungen sich schon nach kurzer Zeit deutlich weniger >gestört<
fühlten, als sie von ihrer Hochbegabung und den damit verbundenen Besonderheiten
im Denken, Wahrnehmen und emotionalen Erleben erfuhren. Sich >anders als
alle andern< zu fühlen, kann zur Entstehung und Aufrechterhaltung
einer psychischen Erkrankung offenbar mit beitragen. Sich zumindest einer
Minderheit zugehörig fühlen zu können, scheint hingegen einen
maßgeblichen Anteil an der Linderung psychischer Beschwerden zu haben.
Ich bin daher zu dem
Schluss gekommen, dass die Heilung von seelischen Störungen bei Hochbegabten
(nicht im Sinne einer hinreichenden, jedoch einer notwendigen
Bedingung) auch auf der Kenntnis der mit einer Hochbegabung verbundenen
Phänomene basiert.
Wie ist aber vor diesem Hintergrund der Begriff der psychischen Störung
zu definieren? Es fällt mir zunehmend schwerer, diese Frage zu beantworten,
und ich bin immer öfter versucht, diesen Begriff in Anführungszeichen
zu setzen; er scheint vielmehr etwas über die Beziehung zwischen dem
Individuum und seinem Umfeld aus zusagen als über das Individuum selbst.
Was in einem bestimmten Kontext als gesund und normal empfunden wird, kann
unter anderen Bedingungen als gestört oder abnorm angesehen werden. In
einem Schwimmbad gilt eine bis auf die Bikinihose entkleidete Frau als normal;
beträte sie in derselben Aufmachung eine Straßenbahn, gälte
sie als abnormal. In manchen Kulturen werden schizophrene Menschen oder Autisten
als Heilige verehrt, in anderen als Schwerstkranke behandelt. Hier ließen
sich zahllose weitere Beispiele anführen. Bei Hochbegabten (wie
vielleicht auch bei allen anderen) stellt sich immer die Frage: In
welchem Umfeld und unter welchen Bedingungen fühlt sich der Betreffende
nicht gestört?
Es gibt zwei Störungsbilder,
die der Psychologie bis heute viele Rätsel aufgeben. Eines davon habe ich
bereits eingehend behandelt: die autistischen Störungen. Ein zweites Syndrom,
das nach meiner Auffassung nur gänzlich verstanden und adäquat behandelt
werden kann, wenn man die Phänomene der Hochbegabung mit in Betracht zieht,
sind die so genannten Borderline-Störungen.
Bevor ich der Frage nachgehe, ob Borderline-Störungen eine für Hochbegabte
spezifische Form sind,
auf starke seelische Belastungen und Traumatisierungen zu reagieren, möchte
ich das Borderline-Syndrom näher charakterisieren.
4. Borderline-Persönlichkeiten
Ich
liebe die, welche nicht zu leben wissen.
F Nietzsche
Definition
Die Definitionen und Theorien von so genannten Borderline-Störungen sind
so zahlreich und vielfältig, dass ich hier nur insoweit darauf eingehen
kann, als sie für meine Überlegungen im Zusammenhang mit seelischen
Störungen bei Hochbegabten relevant sind. Weiterführende Literatur
zu diesem Störungsbild findet sich im Anhang (z.
B. Kreisman & Strauß, 1992; Gneist, 1995; RhodeDachser, 2000).
Als wesentliche Symptome
einer Borderline-Störung werden beschrieben:
1. Starke Stimmungsschwankungen, extrem intensiv erlebte Gefühle; geringe
Frustrationstoleranz und häufige Zornausbrüche;
2. Impulsivität bei potenziell selbstschädigendem Verhalten, z.
B. Drogen und Alkoholmissbrauch, sexuelle Exzesse; >Kamikaze< Persönlichkeiten:
lieber exzessiv als langweilig leben;
3. Chronische Gefühle von Einsamkeit, Isolation, Langeweile und innerer
Leere; Gefühl der Heimat- und Haltlosigkeit;
4. Selbstverletzungen; Selbstmorddrohungen oder –versuche;
5. Fehlen eines klaren Identitätsgefühls; Wechsel von Gefühlen
der Grandiosität und Minderwertigkeit; sich »anders« als
die anderen fühlen; das Gefühl, in einer »Festung« zu
leben, nicht am Leben teilzuhaben;
6. Unbeständige und unangemessen intensive zwischenmensch-liche Beziehungen;
Angst vor Nähe in Beziehungen und Angst vor Einsamkeit; häufiger
Wechsel von Idealisierung und Abwertung der Partner; andere werden oft angegriffen
und kritisiert; alles wird ständig in Frage gestellt; Machtkämpfe
mit anderen; großes Misstrauen, Angst vor Enttäuschung und Verlassenwerden;
7. Wechselndes Realitätsgefühl, Wahrnehmungsstörungen;
8. Depressionen und Angstzustände; ggf. Essstörungen;
9. Oft erfolgreich im Beruf; künstlerische und kreative Fähigkeiten;
(Siehe auch: Beck
& Freeman et al., 1995; Kernberg et al., 2000; Kreisman & Straus,
1992)
Die meisten Forscher
gehen davon aus, dass etwa 90 % aller Borderliner in ihrer Kindheit oder Jugend
extreme seelische Belastungen bzw. Traumata erfahren haben; dazu gehören
sexueller Missbrauch und körperliche Gewalt, emotionale Grausamkeit und
Vernachlässigung oder extrem instabile Familienverhältnisse (vgl.
z. B. Herman, 1994; Kreisman & Straus, 1992; Rhode-Dachser, 2000).
Forschungsstand
und eigene Beobachtungen
Warum bestimmte Menschen nach traumatischen Erfahrungen eine Borderline-Störung
entwickeln, andere hingegen schwere Depressionen, aggressive und dissoziale
Verhaltensstörungen oder multiple Persönlichkeitsstörungen,
ist meines Wissens bislang nicht eindeutig geklärt.
Ich habe im Laufe meiner therapeutischen Tätigkeit rund dreißig
Borderliner behandelt. Diese hatten in Kindheit und Jugend alle die beschriebenen
Traumata erlebt. Aufmerken ließ mich die Tatsache, dass die Betroffenen
ohne Ausnahme zu den Hochbegabten zählten, d. h., alle hatten, zumindest
in mehreren Teilbereichen, einen IQ über 130.
Zu Beginn meiner therapeutischen Laufbahn bestand meine Klientel etwa zu drei
Vierteln aus Patienten aller Begabungsgruppen und zu einem Viertel aus Hochbegabten.
Dieses Verhältnis hat sich erst im Laufe der letzten Jahre zugunsten
der Hochbegabten verschoben. Das heißt: Die von mir identifizierten
Borderline-Persönlichkeiten kamen zufällig in meine Praxis, ohne
über meine Arbeit mit Hochbegabten, geschweige denn über die eigene
Zugehörigkeit zu dieser Gruppe, informiert zu sein. Die Annahme, dass
nur die Hochbegabten unter den Borderline-Patienten zu mir kamen, kann also
mit großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.
Umgekehrt wird dem geneigten Fachkollegen bei der bisherigen Lektüre
nicht entgangen sein, dass viele hochbegabte Klienten Verhaltensweisen und
Merkmale zeigen, die Borderline-Symptomen stark ähneln; hierauf werde
ich im Anschluss explizit eingehen. Diesbezügliche Hinweise finden sich
auch bei anderen Autoren, so etwa in der Veröffentlichung von Hollenbach
(1998)
hochbegabt
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