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anmutiger, stiller Autorität,
aber keinem geringeren pädagogischen Eros als der Argentinier und mit
derselben Gefolgschaft der Schüler.
Führen oder wachsen lassen - so charakterisieren wir traditionell die
gegensätzlichen Pole der Erziehung. Sie lassen sich im Bild des Töpfers
oder des Gärtners anschaulich darstellen.
Der Erzieher, der das Bild des Töpfers zu seiner Leitidee erkoren hat,
will den jungen Menschen formen, er greift ein, steuert, fordert heraus, diszipliniert,
schafft Freiräume, um ihn auf die Selbstständigkeit vorzubereiten,
ja er wird ihn in die Selbstständigkeit und Freiheit zwingen. Wer sich
am Bild des Gärtners orientiert, wird eher darauf achten, dass der junge
Mensch gute Bedingungen des Aufwachsens vorfindet, er wird ihn mehr fördern
als fordern, weniger eingreifen, aber darauf vertrauen, dass er sich selbst
diszipliniert, also wenig Zwang und Autorität braucht.
Der Töpfer und der Gärtner repräsentieren zwei legitime Stile
der Erziehung, die in Reinform selten vorkommen, meistens treffen wir eine
Mischung mit einer Neigung zum einen oder anderen Pol an. Beide Stile bergen
Gefahren in sich, der Stil des Töpfers kann in autoritäre Erziehung
ausarten und der Stil des Gärtners in Nicht-Erziehung.
Wir wollten nach den Erfahrungen einer autoritären Erziehungstradition,
die in einer Diktatur endete, eine Nation von Gärtnern werden, sind aber
zu einer Nation von Nicht-Erziehern geworden, denn es herrscht
das Missverständnis, dass der Gärtner auf Führung verzichten
dürfe. Aber auch er greift ein, beschneidet die Pflanzen, bindet sie
an Stangen und bewahrt sie vor Befall und Fehlentwicklung, wenn er ein guter
Gärtner sein will.
Erziehung bedeutet immer Führung, diese Wahrheit wird durch den Begriff
»Pädagoge« bestätigt. Er stammt aus dem Griechischen
und heißt Knabenführer. Wer führt, erwartet Gefolgschaft.
Da Kinder nicht gehorsam geboren werden, ignorieren sie Anweisungen, rebellieren
gegen Erziehungsmaßnahmen, missachten Gebote und wenden alle Mittel
an, um ihren eigenen Willen durchzusetzen. Wutanfälle eines dreijährigen
Kindes auszuhalten, dessen Äußerungen ohne Verstand sind, und sich
nicht ab und an zu Klapsen oder gar Schlägen hinreißen zu lassen
bedarf gehöriger Selbstdisziplin von Vater oder Mutter. Solche Selbstdisziplin
wächst mit dem Bildungsgrad der Eltern. Gebildete Eltern wissen, dass
Erziehung nicht ohne Konflikte gelingen kann. Sich ihnen zu stellen, nicht
gleich nachzugeben und auch die Öffentlichkeit nicht zu scheuen, wenn
konsequentes Handeln Ärgernis erregt, braucht Mut zur Erziehung. Supermärkte,
Restaurants und Eisenbahnabteile sind beliebte öffentliche Austragungsorte
pädagogischer Konflikte. Wer konsequent Unterordnung eines Kindes verlangt,
beweist Mut vor Zuschauern, die in Deutschland konsequentes Handeln zu häufig
missbilligen. Das gilt auch für die kleinere Öffentlichkeit der
weiteren Familie oder der Freunde.
Mut zur Erziehung heißt vor allem Mut zur Disziplin. Disziplin ist das
ungeliebte Kind der Pädagogik, sie ist aber das Fundament aller Erziehung.
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Freiheit erwirbt man durch Disziplin
Kleine Kinder entwickeln einen Drang zur Selbstständigkeit, der auf den
Beobachter einen eigenen Zauber ausübt. »Selbst« oder »allein«
heißen die Wörter, die den Willen zur Eigentätigkeit signalisieren.
Es tritt in diesem Drang eine genuin menschliche Eigenart in Erscheinung,
nämlich der Wille zur Freiheit. Allerdings äußert sich in
diesem rudimentären Streben nach Selbstständigkeit nur eine Komponente
der Freiheit, nämlich der Drang nach Unabhängigkeit und Selbsttätigkeit.
Freiheit ist aber mehr als Unabhängigkeit, sie bezeichnet den Willen
und die Fähigkeit, sich selbst ein Ziel zu setzen, dieses Ziel an moralischen
Werten auszurichten, mit dem eigenen Leben in Übereinstimmung bringen
und konsequent verfolgen zu können. Selbstbestimmung ist der Begriff
dafür.
Friedrich Nietzsche hat die Idee der Freiheit als Frage artikuliert: »Frei
nennst du dich? Deinen herrschenden Gedanken will ich hören und nicht,
dass du einem Joche entronnen bist. (...) Frei wovon? Was schiert das Zarathustra.
Hell aber soll mir dein Auge künden: frei wozu?«
Jugendliche - übrigens auch viele Erwachsene neigen zu dem fundamentalen
Irrtum, Freiheit mit Unabhängigkeit gleichzusetzen. Sie meinen frei zu
sein, wenn sie einer Autorität den Gehorsam verweigern, sich also »frei
von« Bevormundung dünken. Diese Gleichsetzung von Freiheit und
Unabhängigkeit entspricht jugendlichem Denken. Sie wurde durch den pädagogischen
Irrtum vieler Eltern, Lehrer und Erzieher, vor allem auch Erziehungstheoretiker
unterstützt, dass junge Menschen Freiheit erwerben, indem man ihnen frühzeitig
Freiheit gewährt, Freiheit als Unabhängigkeit von Führung und
Autorität. Frei darf sich aber ein Mensch erst nennen, wenn er auf das
Wozu eine Antwort geben kann. Die Antwort auf diese Frage entspricht der Antwort
auf die Frage: Wer bin ich? Welchen Weg soll ich einschlagen? Was ist Sinn
und Zweck meines Lebens?
Freiheit ist kein Zustand,
sie ist die späte Frucht einer langen Entwicklung, man erwirbt sie durch
unendliche Stadien der Selbstüberwindung, des Wandels von Disziplin zur
Selbstdisziplin. »Es gibt manchen, der seinen letzten Wert wegwarf,
als er seine Dienstbarkeit wegwarf.« Nietzsche klärt mit diesem
Satz, dass man eher weiter dienen sollte, als Unabhängigkeit ohne eine
Idee der Selbstbestimmung anzustreben.
Kinder und Jugendliche träumen von der Freiheit, tun und lassen zu dürfen,
was sie wollen. Sie sehnen sich nach einem Leben ohne Regeln, Verbote und
Anweisungen.
Pippi Langstrumpf,
das wunderbare literarische Geschöpf Astrid Lindgrens, verkörpert
diese Freiheit. Sie lebt in einer fantasievollen Anarchie, sie befriedigt
damit das kindliche Bedürfnis nach Ungebundenheit.
Ihren Mut zum Abenteuer bewundern die Kinder und würden auch gern so
mutig sein. Pippi Langstrumpf erfüllt den märchenhaften Traum eines
Paradieses der Unabhängigkeit, verbunden mit der Macht, die Störenfriede
dieser Unabhängigkeit zu vertreiben.
Astrid Lindgrens »Pippi Langstrumpf« wäre vielleicht
in Zeiten des Kaiserreichs nicht verboten, aber mindestens geächtet worden,
weil es der Neigung zur Anarchie bei Kindern zu sehr entsprochen hätte.
Der »Struwwelpeter« wirkte zeitgemäßer.
Auch ich bin den Irrweg gegangen und wollte durch scheinbare Gewährung
von Selbstbestimmung Jugendliche zu verantwortlichem Handeln erziehen. Als
ich als Lehrer und Erzieher im Internat begann, hatte ich mir vorgenommen,
mehr Verantwortung auf die von mir betreute Gruppe von Schülern zu übertragen.
Ich wollte erreichen, dass sie aus Einsicht ihre Zimmer in Ordnung halten,
pünktlich sind, rücksichtsvoll ihre Musik leise drehen, die gemeinsame
Küche und Dusche sauber machen und nachts Ruhe halten. Was tut ein Erzieher,
wenn er Verantwortung delegieren will? Er zieht sich zurück und gewährt
den jungen Menschen die Freiheit, das Vernünftige ohne Gängelung
von oben durchzusetzen. >>>>>> |
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Vorwort
Mit dieser Streitschrift ziehe ich die Summe meines beruflichen Lebens. Ich
möchte einer interessierten Öffentlichkeit die Schlussfolgerungen
vortragen, die ich als Vater, Erzieher und Lehrer nach 33 Jahren gezogen habe.
Ich werde nicht die Geschichte eines pädagogischen Siegers erzählen.
Ich werde von Erkenntnissen berichten, die ich aus meinem Leiden an unserer
beschädigten deutschen Erziehungskultur gewonnen habe.
Der Erziehung ist vor Jahrzehnten das Fundament weggebrochen: die vorbehaltlose
Anerkennung von Autorität und Disziplin. Wer heute als Erziehender tätig
wird, kann einer erziehungsfeindlichen Umwelt, geprägt von einem aggressiven
Materialismus, wenig entgegensetzen. Viele irren ziel- und führungslos
durchs Land. Denn der Konsens, wie man Kinder und Jugendliche erziehen soll,
ist einem beliebigen, individuell geprägten Erziehungsstil gewichen.
Es gibt keine Übereinkunft über die Notwendigkeit, die Legitimation
und die praktische Ausübung von Autorität und Disziplin.
Unsere pädagogische Kultur in Deutschland wurde durch den Nationalsozialismus
in ihren Grundfesten erschüttert. Die Werte und Tugenden, die das Herz
der Pädagogik ausmachen, haben sich bis heute nicht vom Missbrauch durch
den Nationalsozialismus erholt. Die deutsche Variante der Jugendrevolte nach
1968 war selbst nur eine Folge der deutschen Katastrophe. Wir dürfen
nicht hinnehmen, dass der Nationalsozialismus weiterhin unsere pädagogische
Kultur beschädigt.
Das zo. Jahrhundert war pädagogisch ein Jahrhundert der Extreme. Die
pervertierte Disziplin der kaiserlichen Kadettenanstalten und der nationalsozialistischen
Praxis kontrastierte mit dem Laisser-faire der antiautoritären Erziehung
der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Maßlosigkeit war das Kennzeichen
beider Erziehungsmuster; Maßlosigkeit ist der Feind aller Pädagogik.
Mit dieser Streitschrift will ich einen Beitrag leisten, das rechte Maß
zu finden, Autorität und Disziplin in der Erziehung wieder zu Ansehen
verhelfen, und dadurch Kindern und Jugendlichen eine neue Zukunft eröffnen.
Für den Weg zum rechten Maß borge ich von Thomas Mann das Bild
des Schiffers, der sich nach rechts neigt, wenn das Schifflein sich nach links
neigt, um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Dieses Bild möge den
Leser bei der Lektüre meines Buches begleiten.
Bernhard Bueb Im Herbst zoo6
Wir brauchen wieder Mut
zur Erziehung
Der Bildungsnotstand
in Deutschland ist die Folge eines Erziehungsnotstandes. Kinder und Jugendliche
werden heute nicht mehr aufgezogen, sondern wachsen einfach auf. Sie sind
umgeben von ungewollt aggressiv präsenten Erziehern: vom Fernsehen, vom
plakativen Wohlstand unseres Landes, von den Verführern der Konsumgesellschaft,
von den Vorbildern eines geistigen und charakterlichen Mittelmaßes,
das unsere »Eliten« repräsentieren. Zukunftserwartungen,
die Jugendliche zu Taten beflügeln könnten, sind Zukunftsdrohungen
gewichen: die strukturbedingte Arbeitslosigkeit, die Sinnentleerung unseres
Daseins, auch verursacht durch den Verlust der Religion, die Vergreisung der
Gesellschaft, die Ausbeutung der Lebensgrundlagen der Menschen, die Herrschaft
des Geldes als letzter sinngebender Instanz - die Aufzählung ließe
sich fortsetzen. Wem die Zukunft verloren geht, der wird nicht an sich arbeiten,
sich nicht mehr anstrengen und keinen Idealen nachstreben. Den mangelnden
Zukunftsaussichten treten wir nicht durch Erziehung entgegen. Die Kunst der
Erziehung haben wir verlernt, gemeinsame Maßstäbe sind verloren
gegangen, der Glaube hat sich breitgemacht, das Aufwachsen der Kinder werde
schon irgendwie gelingen. Alle meinen es gut. Von Gottfried Benn haben wir
jedoch gelernt, dass das Gegenteil von Kunst nicht Natur ist, sondern gut
gemeint. Wir fahren auf einem Schiff ohne Kompass.
Was heißt Erziehung? Wie können wir durch Erziehung und Bildung
Jugendliche zu Zuversicht und Lebensmut führen und wie können wir
sie überhaupt erreichen?
Der Trainer führte seine Schüler mit harter Hand durch die hohe
Schule des Handballs. Zügig flog der Ball von Mann zu Mann, ein atemberaubendes
Tempo ließ auch den Zuschauern das Herz schneller schlagen, präzise
und wie nach einem geheimen Plan bewegten sich die Spieler. Intellektuell
und körperlich verlangte der Trainer höchste Anstrengung. Handballtraining
hieß bei ihm, eine Gruppe durchtrainierter junger Menschen zu strategischem
Denken, taktisch wendigem Zusammenspiel und zu einer Haltung des Fair Play
zu führen. Was zunächst wie eine Folge schneidender Befehle klang,
wurde von den Spielern als fortlaufende Liebeserklärungen erlebt. Die
Führung seiner Schüler mit Disziplin und Liebe bildete das Geheimnis
seines Erfolges. Mit jedem Handballtraining demonstrierte er, was Erziehung
bedeuten kann.
Dieser Trainer war Lehrer und Erzieher am Internat Salem, er war Argentinier,
sein Anspruch an sich und die Schüler erinnerte eher an Preußen
als an Südamerika. Wie er die Handballmannschaft trainierte, so erzog
er seine Schüler im Internat. Die Schüler liebten und verehrten
ihn. Wir anderen Lehrer und Erzieher bewunderten, wie er mit Konsequenz und
Fürsorge die Jugendlichen erreichte; wir beneideten ihn auch ein wenig,
dass er so unbefangen mitten im Deutschland der Jahre nach 1968 Disziplin
forderte.
Sein Erziehungsstil fand
erstaunlicherweise allgemeine Zustimmung in einem Umfeld, das Erziehung eher
als verständnisvolle Begleitung aufwachsender junger Menschen propagierte,
weil die Leidenschaft seiner Zuwendung und sein pädagogischer Eros jeden
Einwand theoretisch und dürr erscheinen ließen. Es gibt geborene
Lehrer und Erzieher, er war so einer.
Zur gleichen Zeit arbeitete an der Schule eine Lehrerin, deren Erziehungsstil
gegensätzlicher nicht hätte sein können, die aber denselben
Anspruch auf Führung der Schüler erhob, nur tat sie es mit |
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